Veranstaltungen

Gespräch

8. März 2012 - 19:00 Uhr

Vom Exilanten zum Exilforscher

KörberForumKehrwieder 12, 20457 Hamburg

Walter A. Berendsohn (1884 bis 1984) lehrte ab 1919 an der Hamburgischen Universität skandinavische und deutsche Literaturgeschichte. Er engagierte sich in der Weimarer Republik für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Wegen seiner politischen Haltung und seiner jüdischen Herkunft wurde er von den Nazis bedroht. Als die Universität ihm 1933 die Lehrerlaubnis entzog, emigrierte er mit seiner Familie nach Skandinavien. Dort begründete er die Exilliteraturforschung mit einer bahnbrechenden Pionierstudie über die deutsche Emigranten-Literatur und internationalen Symposien zu diesem Thema. Sein Wunsch, nach dem Ende des Krieges an die Universität Hamburg zurückzukehren, vereitelte die dortige Philosophische Fakultät. Erst 1982 leistete die Universität Abbitte und verlieh dem inzwischen 98-jährigen die Ehrendoktorwürde.

Die Hamburger Autorin Susanne Wittek sprach über Walter A. Berendsohn mit Claudia von Mickwitz, Verfasserin der 2010 erschienenen Berendsohn-Biografie. Zusammen beleuchteten sie den ersten Teil seines beruflichen Werdegangs. Er lehrte ab 1926 als nicht beamteter außerordentlicher Professor, ein Umstand, der vermutlich später seine Entlassung begünstigte. Im Oktober 1933 musste er nach Dänemark flüchten, 1936 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und sein Eigentum eingezogen. Auch der Doktortitel wurde ihm aberkannt. Jahrelang hielt er sich notdürftig mit Vorträgen über Wasser. Am 26. September 1943 schließlich war Berendsohn gezwungen, mit einem Fischerboot rudernd nach Schweden zu flüchten.

In Schweden gelang es Berendsohn, eine von ihm durchaus geschätzte Stelle als ein einfacher Archivmitarbeiter im Strindbergarchiv zu bekommen. Erst Mitte der 1950 Jahre erhielt Berendsohn eine Gastprofessur an der Universität Stockholm. Er war Mitbegründer des Freien Deutschen Kulturbundes (FDK) in Schweden. 1974 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Stockholm.

1939 war es ihm gelungen, sein Werk Die humanistische Front zu publizieren und damit den Grundstein für die deutsche Exilliteraturforschung zu legen. Er arbeitete viele Jahrzehnte am Germanistischen Institut der Universität Stockholm, wo er 1969 zusammen mit Prof. Dr. Helmut Müssener, dem heutigen Leiter des Instituts, die „Stockholmer Koordinationsstelle zur Erforschung der deutschsprachigen Exil-Literatur“ einrichtete.

Bekannt wurde er auch als Biograph und Förderer der Schriftstellerin Nelly Sachs. Auf seine Initiativen hin erhielten Nelly Sachs den Literaturnobelpreis und Willy Brandt den Friedensnobelpreis.

Prof. Dr. Doerte Bischoff, Leiterin der Walter A. Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur an der Universität Hamburg, erläuterte wie es zur Schaffung der Forschungsstelle kam und wie die Universität Hamburg erst spät zur Ehrung Berendsohns fand. Nach dem Krieg versuchte Berendsohn mehrfach, seinen Doktor- und Professorentitel zurück zu erhalten, scheiterte aber an der ablehnenden Haltung der Uni Hamburg.

Erst 1983 lenkte die Fakultät ein und verlieh Berendsohn im Alter von 99 Jahren den Ehrendoktortitel.

Mit seinem Großneffen Rolf Martin Berendsohn rückte der Privatmann Berendsohn ins Licht. Er beschrieb auch die Frau hinter dem Gelehrten, die Gattin, die ihn immer unterstützt hatte und mit ihrer Liebe zur Homöopathie vielleicht auch zu beider langen, gesunden Leben beigetragen haben mag. Der Großneffe berichtete von den Besuchen Berendsohns in Deutschland und in Israel, wo es seine Töchter hingezogen hatte. Auch er wäre gern nach Israel gegangen, hätte es dort einen Lehrstuhl für deutsche Literatur gegeben.

Der Schauspieler Stephan Benson las aus Berendsohns autobiografischen Texten und vermittelte so einen tiefen Eindruck vom Wesen Berendsohns und dessen bewegten Lebens. Besonders beeindruckend war die Schilderung der dramatischen und gefährlichen Flucht von Dänemark nach Schweden im Ruderboot.

Das Gespräch gehört zur Exil-Veranstaltungsreihe in Kooperation mit der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung.

Claudia von Mickwitz
(Fotos: Claudia Höhne)
Prof. Dr. Doerte Bischoff
Susanne Wittek, Rolf Martin Berendsohn
Stephan Benson