Preisträger 2025
Rhena Stürmer und Christian Zech sind für ihre Dissertationen mit dem Claus-Dieter Krohn Preis für Exilforschung 2025 ausgezeichnet worden. Aufgrund der hohen Qualität der beiden Beiträge entschied sich die Jury dazu, den Preis zu teilen. Beide Arbeiten befassen sich mit historischen (Kollektiv-)Biografien linker Akteurinnen und Akteure während der NS- bzw. Exilzeit: Die Forschungsarbeit von Rhena Stürmer trägt den Titel „Weimarer Linkskommunisten zwischen Partei und Bewegung. Eine kulturgeschichtliche Kollektivbiographien“, die von Christian Zech „Siegfried Aufhäuser (1884-1969). Politisch-gewerkschaftliche Biografie eines jüdischen Sozialisten“.
Wir haben die Preistragenden zu ihrer Motivation, den Herausforderungen und ihren Plänen für zukünftige Projekte befragt.
Interview mit Rhena Stürmer
Weichmann-Stiftung:
Was sind die Beweggründe für Ihr Interesse an der Exilforschung?
Rhena Stürmer:
Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert zu forschen, bedeutet fast zwangsläufig, sich mit der Geschichte des Exils zu befassen. Aufgrund der Verfolgung durch den Nationalsozialismus wurden zahlreiche Menschen in den 1930er Jahren ins Ausland gezwungen – so auch zwei derjenigen Personen, mit denen ich mich befasst habe.
In meiner Dissertation habe ich mich kollektivbiografisch den Lebenswegen von Karl Schröder (1884-1950), Alexander Schwab (1887-1943), Bernhard Reichenbach (1888-1975) und Adam Scharrer (1889-1948) angenähert. Diese vier, in den 1880er Jahren des deutschen Kaiserreichs geborenen Männer, begannen sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg politisch zu engagieren. In der Weimarer Republik schließlich gehörten sie zu einer Gruppe dissidenter Kommunisten, die sich 1920 in der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) zusammenfanden. Sie befürworteten ein rätedemokratisches Modell, und entwickelten ihr politisches Programm in kritischer Abgrenzung zum sowjetischen System. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus entstand für sie eine unmittelbare Bedrohungssituation. Zwei der von mir untersuchten Personen, Bernhard Reichenbach und Adam Scharrer, flohen schließlich aus Deutschland. Während Reichenbach in Großbritannien Zuflucht fand und sich dort in den Kreisen der exilierten SPD bewegte, gelangte Scharrer in die Sowjetunion. Dort befand er sich – als dezidierter Kritiker des sowjetischen Systems – in großer Gefahr. Der Frage, wie er sich in dieser Zwangssituation verhielt, bin ich in meiner Dissertation nachgegangen.
Weichmann-Stiftung:
Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Dissertation gekommen?
Rhena Stürmer:
Die neueren Forschungen zum historischen Kommunismus haben deutlich gemacht, wie plural diese politische Bewegung im 20. Jahrhundert gewesen ist. Schaut man nach Deutschland, zeigt sich für ihre Blütezeit zwischen den beiden Weltkriegen eine erstaunliche Vielfalt an politischen Gruppierungen und Organisationen, die jeweils spezifische Vorstellungen von ihrer politischen Programmatik hatten. Schon während des Studiums habe ich mich mit den deutsch-russischen Beziehungen und gegenseitigen Wahrnehmungen im historischen Verlauf beschäftigt. In meiner Masterarbeit ging es z.B. um Berichte über Reisen in die Sowjetunion der frühen 1930er Jahre. Hinzu kam mein Interesse an der Geschichte der Arbeiterbewegung, und ich begann zu recherchieren, welche Formen der kritischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion es innerhalb der deutschen Linken gab. Dabei stieß ich auf die KAPD, die bereits sehr zeitig vor autoritären und staatskapitalistischen Tendenzen in der Sowjetunion warnte.
Wer waren die Menschen, die sich in dieser Partei zusammenfanden und eine eigene, von der sowjetischen Version abweichende Vorstellung vom Kommunismus entwickelten? Und wie gestalteten sich ihre Lebenswege auch über die Weimarer Republik hinaus? Diese Fragen begannen mich zu interessieren, und so untersuchte ich schließlich die biografische Entwicklung der KAPD‘ler Karl Schröder, Alexander Schwab, Bernhard Reichenbach und Adam Scharrer.
Weichmann-Stiftung:
Was waren die größten Herausforderungen, denen Sie sich im Rahmen Ihrer Dissertation gegenübersahen?
Rhena Stürmer:
Grundsätzlich empfand ich die Anfangsphase der Dissertation als Herausforderung. Nach dem Studium eine derart große Forschungsarbeit zu überblicken und anzugehen, war nicht leicht: Wie sollte ich ein so komplexes Thema erforschen und in einen lesbaren Text bringen? Wie sollte ich abwägen zwischen der Fülle der biografischen Daten und meiner spezifischen Fragestellung nach den subjektiven Sinngebungsprozessen und politischen Artikulationsformen? Bis zum Schluss habe ich mit diesen Problemen gerungen.
Hinzu kam die Frage nach der Finanzierung. Glücklicherweise erhielt ich, auch aufgrund meines gesellschaftspolitischen Engagements, ein Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Als besonders problematisch erwies sich die Zeit der COVID-19-Pandemie. Archiv- und Bibliotheksschließungen haben mir die Forschung ungemein erschwert, es gab immer wieder Verzögerungen, und ich musste meinen Arbeitsplan ständig neu strukturieren. Besonders schade war, dass ich viele meiner geplanten Archivbesuche im Ausland nicht durchführen konnte. Dankenswerterweise stellten mir einige Archive ihre Materialien als digitale Reproduktionen zur Verfügung. Aber nicht in die USA oder nach Moskau reisen und selbstständig in den Archiven recherchieren zu können, war schon schade.
Weichmann-Stiftung:
Was sind Ihre Pläne für zukünftige Publikationen oder Projekte?
Rhena Stürmer:
Aktuell überarbeite ich das Dissertationsmanuskript für die Publikation, die 2025 im Wallstein Verlag erscheinen soll. Dann ergaben sich während meiner Forschungen in den letzten Jahren einige Themen, die ich nun in Aufsätzen vertiefe – etwa zur internationalen Dimension des Linkskommunismus, oder auch zu weiteren Akteuren wie Franz Peter Utzelmann (1896–1972), der nach 1945 als Linkskommunist in Deutschland auf ganz besondere Weise mit dem Ost-West-Konflikt konfrontiert war, und Helmut R. Wagner (1904-1989), der Deutschland 1934 verlassen musste und im US-amerikanischen Exil zu einem führenden Vertreter der phänomenologischen Soziologie wurde.
Seit Sommer 2024 habe ich an der Universität Leipzig bei Prof. Dirk van Laak eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Postdoc inne – ich werde also in der Wissenschaft bleiben. Mein Habilitationsprojekt wird sich mit der Rolle von Expertinnen und Experten im 20. Jahrhundert befassen. Während der Pandemie wurde die komplexe Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik augenfällig, und mich interessiert nun die historische Dimension des Verhältnisses von Gesellschaft und Expertise.
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Dr. des., geb. 1989 in Frankfurt (Oder). Studium der Geschichte, Kulturwissenschaften und Kulturgeschichte an der Freien Universität Berlin und der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Rhena Stürmers Forschungsinteressen sind u.a. die europäische Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und die Kultur- und Ideengeschichte der Arbeiterbewegung und der politischen Linken. Von 2018 bis 2024 Promotion an der Viadrina zum Thema „Weimarer Linkskommunisten zwischen Partei und Bewegung. Eine kulturgeschichtliche Kollektivbiographie“. Von 2018 bis 2022 war sie Promotionsstipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Seit 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für die Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig, entwickelt sie seit Sommer 2024 ein Habilitationsprojekt zum Thema Expertise und Gesellschaftsgestaltung im 20. Jahrhundert.
Interview mit Christian Zech
Weichmann-Stiftung:
Was sind die Beweggründe für Ihr Interesse an der Exilforschung?
Christian Zech:
Während meines Geschichtsstudiums und darüber hinaus habe ich mich eingehend mit der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und auch der deutsch-jüdischen Geschichte beschäftigt. Bezeichnenderweise spielte das Thema Exil dabei zunächst keine Rolle. Erst im Laufe der Zeit wurde ich dafür sensibilisiert, wie eindrücklich Erkenntnisse aus dem Arbeitsbereich der Exilforschung verdeutlichen, welche Verluste mit der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Verdrängungspolitik einhergingen. Vor allem der Blick auf individuelle Schicksale macht zudem deutlich, was der lebensweltliche Bruch, den Flucht und Exil beinhalten, für die Betroffenen bedeutete. In diesem Sinne ergeben sich Parallelen auch zu gegenwärtigen Erfahrungen von Flucht und Migration.
Hinzu kommt, dass die Exilforschung interdisziplinär und transnational angelegt ist und sich dadurch multiple Perspektiven auf historische Entwicklungen ergeben, die anderen Ansätzen verwehrt bleiben.
Weichmann-Stiftung:
Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Dissertation gekommen?
Christian Zech:
Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich mich ausführlich mit der deutsch-jüdischen Zeitung „Aufbau“ auseinandergesetzt. Hier wurde ich zum ersten Mal auf Siegfried Aufhäuser aufmerksam, der dort als Redakteur und „Assistant Editor“ arbeitete. Als ich nach dem Studium Überlegungen anstellte, zu promovieren, stand zunächst ein anderes Thema im Fokus: Ich beschäftigte mich intensiv mit Medien und Öffentlichkeit(en) im Exil. Im Zuge weiterer Recherchen stieß ich jedoch immer wieder auf Siegfried Aufhäuser. Durch sein beeindruckendes politisches und gewerkschaftliches Engagement und seine exponierte Stellung in den vielfältigen Auseinandersetzungen innerhalb des Exils rückte seine Biografie sukzessive ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit.
Weichmann-Stiftung:
Was waren die größten Herausforderungen, denen Sie sich im Rahmen Ihrer Dissertation gegenübersahen?
Christian Zech:
Die Rekonstruktion einer Biografie nach wissenschaftlichen Qualitätskriterien birgt viele Fallstricke. Die mehrjährige Beschäftigung mit einer einzelnen Person kann dazu verleiten, lebensweltliche Brüche und Widersprüche zugunsten einer narrativen Konsistenz auszublenden und eine Stringenz von Handlungen und Ereignissen zu beschreiben, in der die Offenheit des historischen Moments nicht angemessen berücksichtigt wird. Gerade von Ego-Dokumenten und tradierten Erzählungen geht häufig der Reiz aus, nachträgliche Deutungen unkritisch zu übernehmen. Hinzu kommt, dass die eigene Perspektivität und persönlichen Erfahrungen wiederum in Versuchung führen, Geschehnisse in einer bestimmten Weise einzuordnen und zu deuten. Schwierig war es, hier stets offen zu bleiben, den eigenen Forschungsstandort regelmäßig zu reflektieren, gegebenenfalls zu benennen und offen für widersprüchliche Quellenlagen und andere Interpretationen zu bleiben.
Abgesehen von methodisch-inhaltlichen Herausforderungen birgt die Promotion auch ganz andere Hürden: Mit dem Beginn der Dissertation hörte ich zum ersten Mal von den drei „typischen Krisen“ der Promotionszeit: Material-, Relevanz- und Abschlusskrise. Damit lassen sich die größten Herausforderungen, denen ich in dieser Zeit gegenüberstand, bündig zusammenfassen. Besonders die Abschlussphase erlebte ich als herausfordernd: Zunächst schien die Berufsperspektive unklar. Als sich unvermittelt die Chance auftat, eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter anzutreten, blieb kaum noch Zeit für die Fertigstellung der Dissertation. Insofern freue ich mich nun umso mehr, dass die Arbeit nun bald erscheinen wird.
Weichmann-Stiftung:
Was sind Ihre Pläne für zukünftige Publikationen oder Projekte?
Christian Zech:
Zunächst möchte ich natürlich die Dissertation veröffentlichen. Die Arbeit soll möglichst noch im Frühjahr 2025 beim Wallstein Verlag als Buch erscheinen und wird dann auch als Open-Access-Veröffentlichung online zugänglich sein. Die Erfahrungen, die ich während meiner Promotion gesammelt habe, kommen mir bei meiner aktuellen Tätigkeit zugute: Ich arbeite mit mehreren Historikerinnen und Historikern zusammen in einem kleinen Team. Wir haben eine Genossenschaft gegründet und arbeiten an mehreren größeren Projekten, die sich unter anderem mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit verschiedener Hamburger Persönlichkeiten und Firmen beschäftigen. Dazu stehen in den nächsten Monaten ebenfalls Veröffentlichungen an. Die Ergebnisse werden wir teils auch in Ausstellungen präsentieren.
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Christian Zech studierte Politik, Geschichte und Medienwissenschaften an den Universitäten Mannheim und Hamburg. In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit der deutsch-jüdischen Zeitung „Aufbau“, die ab 1934 in New York erschien. Er promoviert am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Das Projekt wurde u.a. mit einem Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung und Reisebeihilfen der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung gefördert. Die Dissertation wird im Frühjahr 2025 unter dem Titel „Siegfried Aufhäuser. Gewerkschafter, Politiker und jüdischer Sozialist. 1884-1969“ erscheinen. Christan Zech veröffentlichte u.a. zu Exilthemen, zur Presse-, Unternehmens- und Genossenschaftsgeschichte sowie verschiedene biografische Texte. Seit 2020 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Historiker-Genossenschaft eG.
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